Experteninterview zum Thema: „Wie wichtig sind Kohlenhydrate beim Sport?“
Wie verändert sich der Energiebedarf unseres Körpers, wenn wir körperlich oder geistig aktiv sind?
- Dr. Jürgen Siebenhünen: Der Energiebedarf des Körpers erhöht sich in beiden Fällen, bei körperlichen Belastungen allerdings mehr als bei geistigen. Geistige Aktivitäten können ausschließlich auf der Basis von Kohlenhydratverbrauch stattfinden, da unser Gehirn nur mit dem Betriebsstoff Glukose funktioniert. Die meisten kurzzeitigen, körperlichen Belastungen des Alltags, wie aufstehen und hinsetzen, kurze Wege gehen oder Treppen steigen, finden ebenfalls mit diesem Nährstoff statt. Den Kalorienverbrauch bei angestrengtem Nachdenken und viel Kopfarbeit kann man rechnerisch mit dem 1,4-fachen des Umsatzes bei völliger Ruhe zur Aufrechterhaltung der Körperfunktionen (Grundumsatz) berechnen, den des regelmäßig Sport treibenden Menschen mit dem 1,7- bis 2,0-fachen.
Aus welchen Nahrungsbestandteilen kann unser Körper Energie gewinnen, und welche spielen bei Bewegung und Sport die wichtigste Rolle?
- Dr. Jürgen Siebenhünen: Der Körper kann aus Kohlenhydraten, Eiweißen und Fetten Energie gewinnen. Bei Bewegung und Sport spielen Kohlenhydrate die wichtigste Rolle. Mit ihnen werden alle Kurzzeit-Belastungen unter zwei Minuten Dauer ausschließlich bestritten; auch bis zur achten Belastungsminute überwiegen sie bei der Energiegewinnung stark. So dominiert der Kohlenhydratverbrauch bei allen Mannschaftssportarten, Rückschlagspielen, Kampfsportarten usw. Selbst bei längerer Belastungszeit, bei der die Fettverbrennung im Vordergrund steht, läuft der Kohlenhydratverbrauch im Hintergrund immer weiter mit. Es ist für den Organismus gar nicht möglich, freie Fettsäuren aus dem Blut ohne Kohlenhydrate zu verwerten.
Was passiert in unseren Muskeln, wenn wir Sport treiben, und woher beziehen die Muskeln ihre Energie?
- Dr. Jürgen Siebenhünen: Die Muskeln beziehen ihre Energie vor allem aus der körpereigenen, energieliefernden Substanz ATP (Adenosintriphosphat). Die Kohlenhydrate spielen wiederum die Hauptrolle bei der Bildung des ATP, sie stehen auch immer am schnellsten zur Verfügung. Mit ihrer Hilfe kann also auch ein enorm hoher Energiebedarf, wie er beim schnellen Loslaufen auftritt, gedeckt werden.
Wie sollte sich die Ernährung eines sportlich aktiven Menschen von der eines weniger aktiven Menschen unterscheiden?
- Dr. Jürgen Siebenhünen: Von einem gesunden Grundmuster der Ernährung her unterscheiden sich beide zunächst einmal nicht so sehr. Dieses Grundmuster sollte viele ballaststoffreiche Kohlenhydrate enthalten, hochwertiges Eiweiß und eine möglichst geringe Menge Fett. Außerdem ist für beide reichlich Flüssigkeit in Form von Wasser, Saftschorlen und Tees wichtig. Natürlich hat der körperlich Aktivere einen höheren Energiebedarf. Da dieser Bedarf in den allermeisten Fällen von den Kohlenhydraten gedeckt wird, ist auf eine erhöhte Zufuhr zu achten, so dass mehr Glykogen (Speicherform für Kohlenhydrate) im Muskel gespeichert werden kann. Überhaupt ist die beim Sportler oft stärker ausgeprägte Muskulatur ein hochkomplexes und wertvolles Gewebe, das sowohl bei Belastung als auch in Ruhe einen hohen Energiebedarf hat.
Gibt es hinsichtlich der richtigen Energieversorgung Unterschiede zwischen Ausdauertraining wie Laufen oder Radfahren und Sportarten mit wechselnder Belastungsintensität wie Judo, Volleyball oder Krafttraining?
- Dr. Jürgen Siebenhünen: Ja, wie bereits erwähnt werden Kohlenhydrate umso mehr benötigt, je schneller und intensiver eine Sportart ist. Bei Kampf- und Mannschaftssportarten ist der Bedarf also sehr hoch, und die Glykogenspeicher dieser Sportler sollten immer gut gefüllt sein. Bei länger andauernden Belastungen nimmt der Glykogenbedarf zwar etwas ab, aber eine reichliche Aufnahme von Kohlenhydraten ist gleichermaßen wichtig, da auch der klassische Fettstoffwechsel der Ausdauersportarten nur dann funktioniert, wenn ausreichend Kohlenhydrate vorhanden sind.
Kann man mit der Ernährung seine sportlichen Leistungen gezielt steigern? Welche Lebensmittel sind dafür besonders geeignet?
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Dr. Jürgen Siebenhünen: Eine Leistungssteigerung durch die Ernährung ist möglich und funktioniert am besten mit der effektiven Aufnahme von Kohlenhydraten.
Die ohnehin kontinuierliche Zufuhr sollte zum Wettkampftag hin noch weiter gesteigert werden. Unmittelbar vor höheren Belastungen sollten eher ballaststoffärmere Kohlenhydrate gegessen werden, wie zum Beispiel Weißbrot oder Toast mit Marmelade. Diese sind leicht verdaulich und belasten Magen und Darm während des Wettkampfs nicht. Die effektivste Form der Leistungssteigerung im Sport ist das sogenannte „Carboloading“. Dabei wird etwa vier bis sechs Tage vor dem Wettkampf die Kohlenhydratzufuhr plötzlich stark eingeschränkt oder sogar auf null gebracht. Das Training findet allerdings unverändert weiter statt, die Speicher werden also entleert. In den drei Tagen vor dem Wettkampf wird dann der Kohlenhydrat-Einsatz wieder stark erhöht – die zuvor entleerten Speicher füllen sich dadurch über die Maßen auf. Dies bewirkt eine erhöhte Leistungsfähigkeit, eine bessere Konzentrationsfähigkeit und letztlich den wichtigen Energieschub mehr in der entscheidenden Phase des Wettkampfs.
Viele Sportler schwören auch auf eiweißreiche Nahrung. Was bringt sie im Vergleich zu Kohlenhydraten?
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Dr. Jürgen Siebenhünen: Die Rolle der Proteine als Nährstofflieferant für Sportler wird oft überschätzt. Eine erhöhte Zufuhr ist eigentlich nur bei reinen Kraftsportarten im Hochleistungsbereich sinnvoll, etwa beim Gewichtheben und beim Bodybuilding. Für den Freizeit- und Gesundheitssportler gilt, dass der Proteinbedarf mit der ohnehin durchschnittlich in Deutschland aufgenommenen Eiweißmenge mehr als gedeckt ist.
Eine erhöhte Zufuhr von Proteinen ist also nicht notwendig, in übersteigerter Form kann sie sogar leistungsmindernd sein. Dies geschieht dann, wenn sich überschüssiges Eiweiß in den Energiestoffwechsel mischt. Denn Eiweiß ist ja eher ein Reparaturstoff als ein Energieträger und entsprechend unökonomisch als Energielieferant.
Ausdauersport soll ja die Fettverbrennung ankurbeln. Stört dabei die Zufuhr von Kohlenhydraten nicht?
- Dr. Jürgen Siebenhünen: Nein, die Zufuhr von Kohlenhydraten stört die Fettverbrennung nicht. Hier ist eher das Gegenteil richtig. In der Ernährungslehre gilt der Satz, „die Fette verbrennen im Feuer der Kohlenhydrate“. Allein mit Fetten als Energiequelle fällt vor allem Ausdauersport sehr schwer und der Spaßfaktor ist fast gleich Null. Wer also gerne einen Morgenlauf macht, dem sei geraten, vorher mindestens eine halbe Tasse Kaffee und eine Banane zu sich zu nehmen. Auch etwas Süßes oder ein Müsliriegel sind möglich. Die Konzentration, die Stimmung und die Freude werden dadurch ungleich höher sein.
Wann ist der beste Zeitpunkt, den Glykogenspeicher aufzufüllen - vor, während oder nach dem Training?
- Dr. Jürgen Siebenhünen: Der weitaus beste Zeitpunkt liegt vor dem Training. Sportler sollten immer über gut gefüllte Glykogenspeicher verfügen. Das gilt für das ganze Jahr und für alle Trainingsphasen. Nach dem Training, vor allem wenn es intensiv und erschöpfend war, sind die Glykogenspeicher in der Muskulatur stark verarmt. Auch dies ist ein günstiger Zeitpunkt, da bei hohem Bedarf die Auffüllung besonders gut funktioniert. Wer direkt nach dem Training keinen Appetit hat, kann zunächst auch zu unverdünnten Fruchtsäften greifen. Im Vergleich zu vor bzw. nach dem Training funktioniert die Versorgung mit Kohlenhydraten während des Trainings weniger gut. Hier eignen sich am besten kohlenhydrathaltige Getränke.
Beim Sport muss man ja viel trinken. Kann man das mit einem Energieschub kombinieren, und welche Getränke sind dafür geeignet?
- Dr. Jürgen Siebenhünen: Während des Sports steht der Flüssigkeitsersatz beim Trinken im Vordergrund und kommt vor dem Energieersatz. Trotzdem ist es möglich, mit modernen, energiehaltigen Sportgetränken, die Zucker und lösliche Stärke enthalten, dem Körper Energie zuzuführen. Getränke dieser Art enthalten auch noch andere wichtige Stoffe wie Magnesium und Kalium – es empfiehlt sich ein genauer Blick auf die Inhaltsstoffe.
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